Archiv der Kategorie: Anekdoten

Geschichten und Anekdoten

Anruf eines Weltstars

Am Vorabend von Teresas siebenundfünfzigstem Geburtstag scheint es mir an der Zeit, eine Geschichte in Erinnerung zu rufen, die etwa 15 Jahre zurückliegt.
Damals hatten sich Teresa und ich einen Dokumentarfilm im Fernsehen angesehen, der die Karriere von Thomas Quasthoff zum Thema hatte, der 1988 einen der renommiertesten Musikwettbewerbe der Welt, den ARD-Musikwettbewerb, gewonnen hatte.  Thomas Quasthoff war eines der vielen Contergan-Opfer der Sechzigerjahre und mit schweren Behinderungen auf die Welt gekommen. Aufgrund dieser Behinderungen wurde es ihm verwehrt, ein Musikstudium aufzunehmen, was ihn jedoch nicht davon abhalten konnte, dennoch privat Gesang zu studieren. Er stellte sich als außerordentlich begabt heraus und schaffte es dank seiner herausragenden Fähigkeiten, international im rauen Business der berufsmäßigen Sangeskunst Fuß zu fassen. Zudem brachte er es zum Professor für Gesang, zunächst in Detmold, später in Berlin, wo er auch heute noch lehrt.
Manches in Professor Quasthoffs Werdegang erinnerte mich an Teresa. Selbstredend war sie nicht im eigentlichen Sinn behindert; dennoch wurde es auch ihr in ihrer Jugend verwehrt, ihre berufliche Laufbahn an ihren Neigungen und Vorlieben auszurichten. So kam mir der Gedanke, Professor Quasthoff anzuschreiben, ihm eine Aufnahme mit Teresas Stimme zu schicken und ihn um seine Einschätzung zu bitten, ob es sich für Teresa lohnen würde, eine Gesangskarriere anzustreben. Hier mein Brief im Originalwortlaut:

Sehr geehrter Herr Quasthoff,
bitte erlauben Sie, dass ich heute mit einer etwas ungewöhnlichen Bitte an Sie herantrete. Lassen Sie mich mein Anliegen kurz erklären: Vor einigen Monaten habe ich im Fernsehen einen längeren Bericht über Sie verfolgt, der mich persönlich sehr bewegt hat. Ihr Werdegang, Ihr hartes Schicksal und Ihr eiserner Wille, ein vorhandenes außergewöhnliches Talent trotz der widrigen Umstände weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen, haben meine Frau und mich zutiefst beeindruckt.
Ich bewundere Sie als einen Mann, der als Lehrer nicht nur über große gesangliche Fähigkeiten verfügt, sondern auch in der Lage ist, Stimmen und Persönlichkeiten objektiv einzuschätzen; außerdem verfügen Sie über eigene reiche Erfahrungen mit den Schwierigkeiten einer Karriere „auf Umwegen“. Meine Frau kam vor etwa 15 Jahren nach Deutschland. Sie wurde 1962 in Taiwan geboren, ist jetzt also 41 Jahre alt; in ihrer Heimat hatte sie leider nicht die Gelegenheit, ihre musikalisch/gesanglichen Talente so zu entwickeln, wie sie sich das vielleicht gewünscht hätte. In Deutschland begann sie 1989, also im Alter von 27 Jahren, privaten Gesangunterricht in München zu nehmen. Sie merkte bald, dass ihr das Singen viel Freude macht und war mit großer Begeisterung bei der Sache. Ein paar Jahre später hatte sie auch Gelegenheit, bei einer Agentur in München vorzusingen. Ein mögliches Engagement an einem kleinen Theater weit weg von ihrem Heimatort und ihrer Familie lehnte sie jedoch ab, da ihr dieses Opfer zu groß erschien. Als wir 1994 nach Augsburg übersiedelten, hatte meine Frau die Gelegenheit, als Mitglied im Extrachor des Stadttheaters bei vielen Opernproduktionen mitzuwirken; so hat sie den Theaterbetrieb aus nächster Nähe kennengelernt und festgestellt, dass dies nicht ihre Welt ist. Sie mag weder die Atmosphäre aus Missgunst, Neid und Karrierestreben unter den Künstlern, noch den Zwang, dem man durch die Willkür der Regisseure ausgesetzt ist. Sie entschloss sich daher, dem Theater den Rücken zu kehren, obwohl sie mit ihrer Stimme ohne Probleme eine feste Anstellung im Opernchor hätte bekommen können.
Währenddessen entwickelte sich ihre Stimme weiter. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt eine sehr, sehr gute Lehrerin: Mary Beth Armes, die jetzt wieder in den Vereinigten Staaten lebt. Ihre jetzige Lehrerin ist Frau Celia Jeffreys, eine Britin, die als Dozentin an der Musikhochschule München wirkt.
2001 habe ich das erste Mal für meine Frau ein öffentliches Konzert in Augsburg organisiert. Sie hat dort ein Programm gesungen, das hauptsächlich aus Liedern von deutschen Komponisten der Romantik bestand. Der Saal war gut besucht, und das Konzert war ein schöner Erfolg (auch die Kritik in der Augsburger Allgemeinen war sehr wohlwollend). Im abgelaufenen Jahr haben wir dieses Vorhaben wiederholt; diesmal mit einem italienischen Programm (Arie Antiche und Arien von Mozart, Rossini und Puccini). Ein Mitschnitt dieses Konzerts liegt meinem Brief an Sie bei. Meine Frau ist sich manchmal unsicher, ob es einen Sinn ergibt, weiterzumachen mit dem Gesang, da sie glaubt zu alt zu sein, um wirklich noch etwas „erreichen“ zu können. Der Zuspruch ihrer Freunde zählt für sie nicht, weil sie denkt, das seien Schmeicheleien, wie sie Freunde eben machen. Ich weiß aber, dass Singen ein wichtiger Teil ihres Lebens ist, und daher möchte ich Sie, Herr Quasthoff, bitten, ob es Ihnen möglich ist, sich die beiliegende CD anzuhören und mir Ihre Einschätzung mitzuteilen.
Vielleicht können Sie mir auch den einen oder anderen Ansprechpartner nennen, an den ich mich wenden kann, um musikalische Projekte gemeinsam mit meiner Frau zu planen. Ich weiß, dass mein Unterfangen reichlich kühn ist, denn Ihre Zeit ist sicherlich zu kostbar, um Anfragen dieser Art zu bearbeiten. Dennoch ist es meine Hoffnung, dass vielleicht sogar eines Tages eine Begegnung daraus werden könnte, denn Briefe und CD-Aufnahmen alleine können nie so aussagekräftig wie eine persönliche Bekanntschaft sein.
Im Voraus bereits vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Mit herzlichen Grüßen

Wolfgang Gebauer

Nie hätte ich damit gerechnet, dass auf meinen Brief irgendeine Reaktion erfolgen könnte. Weit gefehlt!
Eines Abends kam ich von der Arbeit nach Hause, und Teresa eröffnete mir, sie hätte am frühen Nachmittag einen Anruf eines Unbekannten erhalten und zunächst gar nicht mitbekommen, um wen es sich überhaupt handelte. Im Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass es Thomas Quasthoff gewesen war. Offenbar fand er ihre Geschichte und ihre Stimme so interessant, dass er kurzerhand zum Telefonhörer griff, um persönlich mit ihr über ihre Karriere zu sprechen. Was die beiden besprochen haben, weiß ich leider nicht genau.  Ich erinnere mich nur, dass Professor Quasthoff Teresa gerade in einem ungünstigen Moment erwischt hatte, und sie ihm wohl erklärt haben muss, ihr käme es im Grunde genommen überhaupt nicht darauf an, als Sängerin Erfolg zu haben. Daraus schloss ihr Gesprächspartner messerscharf, dass wohl ich derjenige sei, der seine Hoffnungen und Wünsche in sie projiziere und beendete das Gespräch etwas verärgert. Möglicherweise hatte er damit nicht ganz unrecht.
Wie dem auch sei: Thomas Quasthoff, bereits damals ein Weltstar und eine Koryphäe auf dem Gebiet des klassischen Gesangs, hatte sich für Teresa und ihre Stimme interessiert und befand sie für genügend talentiert, um sich persönlich mit ihr zu befassen. Für mich war das eine Art Gütesiegel – nicht in dem Sinn, dass Teresas Stimme vollkommen ist und keiner Fortbildung mehr bedarf, sondern eher in dem Sinn, dass sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit das Potenzial besaß, mit den ganz großen der Branche eines Tages mitzuhalten. So hatte auch ich es immer empfunden. Es war also tatsächlich eine Einschätzung, die auch von ausgewiesenen Fachleuten geteilt wurde.

Album der Missionare

Lieber Bruder Gebauer,

es ist mir eine Ehre, mein Andenken an Ihre liebe Frau in Worte zu fassen. Ihre Taten versetzen einen in Erstaunen. Sie war ein großartiges Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und eine treue Missionarin.

Als ich Schwester Gebauer das erste Mal begegnete, hatten meine Frau und ich gerade erst unsere Mission angetreten. Sie wollte mich nur wissen lassen, dass sie bereit sei, eine musikalische Fireside für den Pfahl München und insbesondere für die Freunde der Kirche auf die Beine zu stellen, die von unseren Missionaren betreut werden. Sie war unglaublich begeistert und beharrlich. Mir dämmerte langsam, wie erstaunlich sie war. Ihre Begeisterung war überaus ansteckend; nie hörte sie auf zu lächeln oder anderen Gutes zu tun.

Im Verlauf der nächsten zweieinhalb Jahre zauberte es auch mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, wenn mir wieder einer der zahlreichen Berichte über ihre Missionsarbeit zugetragen wurde. Eine wahrlich erstaunliche Missionarin! Schwester Gebauer hat verinnerlicht, was Elder M. Russel Ballard bei der Herbst-Generalkonferenz 2013 zum Ausdruck brachte:

„Wenn Sie dauerhaft Liebe und Hoffnung in sich tragen, gilt Ihnen die Verheißung des Herrn: ‚Erhebt eure Stimme zu diesem Volk; sprecht die Gedanken aus, die ich euch ins Herz geben werde, dann werdet ihr vor den Menschen nicht zuschanden werden.‘“

Wir alle wissen, dass Schwester Gebauer in diesem Leben nicht vor den Menschen zuschanden wurde, und ich bin mir sicher, dass dies auch auf der anderen Seite des Schleiers nicht der Fall ist. Sie war durch und durch eine Jüngerin Christi und seinem Evangelium, das sie von ganzem Herzen geliebt hat, treu ergeben. Mögen wir alle bereit sein zu geben wie sie von sich gegeben hat. Wir haben sie sehr ins Herz geschlossen.

Präsident Richard L. Miles

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Teresa im Segelflugzeug

Als ich Teresa kennengelernt habe, war ich noch aktiver Segelflieger. Eines Tages – es muss kurz nachdem wir geheiratet hatten gewesen sein – lud ich sie ein, zum Flugplatz mitzufahren und zusammen mit ihr im Segelflugzeug zu fliegen. Es war ihr erstes Flugerlebnis dieser Art. Wir starteten im Doppelsitzer an der Winde, und Teresa saß hinter mir. Da ich wusste, dass Passagieren im Segelflugzeug oftmals übel wird, hatte ich ihr vor dem Start einen Kaugummi gegen Reisekrankheit gegeben. Damit, so hoffte ich, würde sie diesen ersten Flug problemlos überstehen können. Einige Minuten nach dem Start – ich war gerade damit beschäftigt, Höhe zu gewinnen – fragte ich sie, wie es ihr gehe, erhielt von ihr jedoch keine Antwort. Erstaunt blickte ich mich um und stellte fest, dass sie kraftlos in den Gurten hing und kein Lebenszeichen von sich gab. Von Panik ergriffen zog ich die Bremsklappen, flog so schnell ich konnte wieder zum Flugplatz zurück und landete. Vorher hatte ich die anderen per Funk über den Notfall informiert. So schnell wir konnten, zogen wir Teresa aus dem Flugzeug und betteten sie unter die Tragfläche, wo sie im Schatten liegen konnte. Ein junger Medizinstudent leistete ihr erste Hilfe, und so kam sie zum Glück bald wieder zu Bewusstsein und erholte sich rasch.

Sie berichtete, dass sie kurz nach dem Start wie gelähmt war und sich weder bewegen noch sprechen, wohl aber hören konnte. Offenbar hatte der Wirkstoff in dem Kaugummi bei ihr eine allergische Reaktion ausgelöst, die zu diesen höchst beunruhigenden Symptomen geführt hatte. Wie sich später herausstellte, war sie beispielsweise auch gegen Aspirin allergisch. Auf weitere gemeinsame Flüge verzichtete ich nach diesem dramatischen Erlebnis lieber.

Ich gehörte zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Kirche an. Der junge Medizinstudent, der Teresa so selbstlos und schnell geholfen hatte, kam wenige Wochen später bei einem tragischen Segelflugunfall ums Leben. Darüber war ich tieftraurig, und während ich an den Bestattungsfeierlichkeiten teilnahm, gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich bin heute davon überzeugt, dass dieses Erlebnis ein Schlüssel dafür war, mich wenig später, als sich mir die Gelegenheit bot, intensiv mit dem Evangelium zu befassen und mich schließlich im Juli 1988 taufen zu lassen.

Teresas Gesundheit war zart und verwundbar. Das sollte sich später – leider – noch bei anderen Gelegenheiten zeigen.

Teresa sonntags in China

Teresa ist ein paar Mal zu Familienforschungszwecken nach China gereist. Ihre Familie stammt ursprünglich aus Wuhan in der Provinz Hubei. Nun ist Wuhan zwar eine sehr große Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern, doch gab es zum Zeitpunkt ihres Aufenthaltes dort keine Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Am Samstag rief sie mich an und meinte, sie wolle es nicht akzeptieren, am Sonntag untätig im Hotel herumzusitzen. Sie hatte den Plan, ein Flugticket zu kaufen und am Sonntag in aller Frühe nach Peking zu fliegen, um die Versammlungen der dortigen Gemeinde zu besuchen. Am Nachmittag wollte sie wieder nach Wuhan zurückkehren. Sie setzte den Plan auch zielstrebig in die Tat um und konnte tatsächlich am Sonntag in Peking am Abendmahl teilnehmen. Fast wäre sie noch zu spät gekommen, weil der Taxifahrer die Adresse nicht gleich fand. Dankbaren Herzens betrat sie während des Anfangslieds die Kapelle und erneuerte an diesem Sonntag wierum ihren Bund mit dem Herrn. Das war ihr so wichtig, dass sie hierfür eine Flugreise über mehr als 1000 km in Kauf nahm.