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Teresa und das Vorsingen

Um als Sänger Erfolg zu haben – also einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden –, muss man vorsingen, und zwar entweder beispielsweise an einem Theater oder bei einer Agentur, die sich der Vermittlung von Künstlern für Auftritte widmet.

Teresa hat im Alter von 27 Jahren mit privatem Gesangsunterricht begonnen. Nachdem sie recht bald bemerkt hatte, dass sie Talent zum Singen hat und sich ihre Stimme zu entfalten begann, wollte sie natürlich auch gern wissen, ob sie sängerisch vor größerem Publikum würde bestehen können. Also meldete sie sich eines Tages für ein Vorsingen in München an. Soweit ich mich entsinne, wurde es von einer Agentur organisiert und fand an der Staatsoper statt. Teresa berichtete mir später, die Juroren hätten ihre Stimme wohlwollend beurteilt und ihr angeboten, sie an ein Opernhaus in der Provinz zu vermitteln. Da sie auf keinen Fall aus München wegwollte, nur um in einer fremden Stadt getrennt von ihrem Mann ein Engagement als Sängerin zu erfüllen, war das für sie keine wirklich überlegenswerte Option.

Später sang sie am Stadttheater Augsburg vor und machte ein paar Jahre im Extrachor mit, wo sie an vielen Produktionen im großen Haus und auf der Freilichtbühne mitwirkte (unter anderem My Fair Lady, Frau Luna, Nabucco, Lohengrin, …). Die Umgebung im Theater behagte ihr aus den verschiedensten Gründen jedoch nicht sonderlich. Unter anderem mochte sie nicht, dass sie vereinzelt auch sonntags auftreten musste. Für sie war der Sonntag der Tag des Herrn, und sie wollte in dieser Hinsicht keine Kompromisse eingehen. Aus diesem Grund verließ sie das Theater bald wieder und beschränkte sich im Wesentlichen darauf, vereinzelt abendfüllende Konzerte zu geben, hie und da  mit einzelnen Nummern aufzutreten und ansonsten in ihrer Eigenschaft als Musikverantwortliche für den Pfahl München dafür zu sorgen, dass andere glänzen konnten.

Eines Tages – es muss 2007 gewesen sein – bekam sie mit, dass eine Solo-Sopranistin von einem namhaften Augsburger Dirigenten für die Aufführung geistlicher Werke gesucht wurde. Also bewarb sie sich und sang ihm vor – das Vorsingen fand im Konzertsaal der Hochschule Augsburg statt. Dort steht ein Steinway-Konzertflügel, und Teresa brachte eine befreundete russische Pianistin mit, die sie beim Vorsingen am Klavier begleiten sollte. Der Dirigent nahm im Auditorium Platz; ich saß neben ihm. Teresa trug einige der Stücke vor, die sie im Laufe ihres Sängerlebens schätzen- und liebengelernt hat, vor allem von Puccini, ihrem Lieblingskomponisten. Diese Stücke hatte sie über viele Jahre hinweg immer wieder geübt und gesungen, und sie fühlte sich sichtlich mit und in ihnen wohl. Ich weiß noch, wie dieser Dirigent das Geschehen mit großen Augen verfolgte und bei manchen Stellen voller Ergriffenheit ausrief: „Das ist ja unglaublich!“ oder „Wahnsinn!“.

Es war offensichtlich, dass Teresa bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Nach dem Vorsingen bot er ihr an, den Sopran-Solopart im Mozart-Requiem zu übernehmen, das in der Jakobskirche in Friedberg und an einem weiteren Aufführungsort aufgeführt werden sollte. Teresa freute sich über das Vertrauen, das ihr der Dirigent entgegenbrachte und begann, sich auf die Konzerte so gut sie konnte vorzubereiten. Immerhin war es das erste Mal, dass sie mit großem Orchester singen sollte, und als Kammermusikerin war sie es auch nicht gewohnt, unter einem professionellen Dirigenten zu arbeiten. Es gab nur wenige Solistenproben kurz vor der Aufführung, und am Aufführungstag selbst fühlte sich Teresa nicht besonders wohl.

Es kam, wie es kommen musste. Bei den Proben lief es bereits nicht gerade reibungslos. Teresa kam mit der Dirigierweise nicht gut zurecht und war an manchen Stellen nicht ganz sicher, was den Tenor zu Sticheleien veranlasste. Wer Teresa kennt, weiß, dass ein derartiges Verhalten bei ihr nicht zu einer Leistungssteigerung führt. Im Gegenteil. Ihre Unsicherheit nahm noch zu, und am Tag des Konzerts hatte sie Intonationsprobleme und manche Einsätze klappten nicht ganz. Kurz vor Schluss unterschlug sie bei ihrem Schlusssolo auch noch einen Taktschlag und trieb so dem Dirigenten den Schweiß ins Gesicht. Nun hatte auch der letzte Zuhörer in der gut gefüllten Kirche mitbekommen, dass da etwas nicht gestimmt haben konnte.

Das zweite Konzert lief besser. Aber auch dort fehlte irgendwie der Glanz, und ihrer Stimme fehlte ein wenig die Klarheit und die durchdringende Präsenz, die sie normalerweise auszeichneten. Die Reaktion des Dirigenten kann ich bis heute nicht verstehen. Anstatt sie zu trösten und mit ihr die Ursachen der Fehler zu besprechen, um sie beim nächsten Mal vermeiden zu können, ließ er sie fallen wie eine heiße Kartoffel und sprach nie wieder ein Wort mit ihr. Zudem wurde ihr die Gage vorenthalten, die ihr eigentlich zugestanden hätte. Wenn ich an dieses Erlebnis zurückdenke, fällt mir hierzu nur der Begriff Niedertracht ein. So wurde uns vor Augen geführt, welch große Rolle die Eitelkeit in der professionellen Musikwelt spielt. Menschlichkeit ist in diesem Metier bedauerlicherweise kaum anzufinden. Auf weitere Vorsingabenteuer hat Teresa nach diesem Erlebnis verständlicherweise lieber verzichtet. Sie gefiel sich lieber in der Rolle als Beobachterin, Förderin und Lehrerin.