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Teresa und der Kammerchor Vocalis

Das bewegende Revivalkonzert des Kammerchors Vocalis zur Vorweihnachtszeit am 9. Dezember 2017 hat mir wieder in Erinnerung gebracht, wie Teresa und ich zu diesem Chor gekommen sind und welch schöne Erlebnisse wir ihm zu verdanken haben. Der Weg in den Chor war hierbei nicht eben leicht.

Lange Jahre hat Teresa versucht, mit dem Deseret Vokalensemble einen Chor im Pfahl München zu etablieren, der – ganz ähnlich wie der Kammerchor Vocalis – den Gemeinden durch hochwertige Chorkonzerte bei der Missionsarbeit unterstützend zur Seite steht. Tatsächlich gab es auch schöne Erfolge: so wurde beispielsweise die moderne Kantate Dies ist Jesus von Janice und Steven Kapp Perry in deutscher Sprache über zehn Mal im Pfahlgebiet aufgeführt. Insgesamt jedoch gestaltete sich das Projekt eher schleppend, und es war schwierig, Motivation und homogenen Klang bei den Sängerinnen und Sängern über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.

Im Jahr 2010 kam nun der Kammerchor Vocalis zu einem Konzert in die Hofbrunnstraße nach München. Vocalis war drei Jahre zuvor in Frankfurt von Sonja Sperling und Christian Wolfert gegründet worden und hatte sich deutschlandweit in der Kirche rasch einen Namen gemacht. Er bestand aus gut dreißig überwiegend jungen Frauen und Männern, die aus allen Teilen Deutschlands und der Schweiz zu den Proben in Frankfurt zusammenkamen und dort ein Programm einstudierten, um anschließend auf Tournee zu gehen. Ich persönlich konnte beim Konzert in München leider nicht zugegen sein, da ich – wie so oft in dieser Zeit – für meine Firma auf den Weltmeeren unterwegs war.

Teresa gefiel das Konzert sehr gut. Sie unterhielt sich im Anschluss auch längere Zeit mit Christian Wolfert und fragte mich nach meiner Rückkehr, was ich wohl davon halten würde, dem Chor beizutreten. Die Frage kam für mich etwas überraschend, denn Teresa war vorher vom Konzept des Kammerchors Vocalis nicht unbedingt überzeugt. Es würde einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand bedeuten, an den Proben und Konzerten teilzunehmen. Offenbar hatte sie die Ausstrahlung, der Glaube und auch die künstlerische Qualität des Kammerchors Vocalis überzeugt, ihre Energie lieber diesem Chor zu widmen und das Deseret Vokalensemble erst einmal auf Eis zu legen.

So kam es also, dass wir – es muss im November 2010 gewesen sein – an unserem ersten Probewochenende in Frankfurt teilnahmen. Der Chor bereitete eine Tournee mit einem Weihnachtsprogramm durch Finnland vor. Er wurde vom nicht lange zuvor berufenen William Ajhuacho geleitet, der aus Ecuador stammte. Der neue Dirigent legte sehr viel Wert auf homogenen Klang und auf Qualität, und neue Aspiranten auf eine Stelle im Chor mussten sich einem Vorsingen unterziehen. Daran kann ich mich noch gut erinnern: Dirigent und gesamter Chorvorstand – insgesamt bestimmt sechs Leute – nahmen an einem Tisch gegenüber dem Kandidaten Platz. Dann folgten mehrere Aufgaben, unter anderem musste ein Lied nach Wahl a cappella gesungen werden, man musste Rhythmusübungen vorklatschen, vom Blatt singen, mit dem Dirigenten im Duett singen und manches mehr. Höhepunkt war dann das Singen der vierstimmigen Motette Sicut Cervus von Orlando di Lasso mit Teresa, mir, einem weiteren neuen Kandidaten und einer Dame aus dem Chorvorstand, die im Alt einsprang. Danach zog sich das Gremium zur Beratung zurück.

Obwohl wir den Altersdurchschnitt des Chors deutlich anhoben, wurden Teresa und ich genommen und bereiteten ab diesem Zeitpunkt alle Programme des Kammerchors Vocalis bis zu dessen Auflösung im Jahr 2013 mit vor und sangen bei den meisten Konzerten mit. Der Aufwand war enorm: die Einarbeitung zweier Programme pro Jahr (ein Sommer- und ein Weihnachtsprogramm) erforderte im Verlauf von gut zwei Monaten drei bis vier sehr intensive Probewochenenden in Frankfurt und eine anschließende Tournee mit sechs bis sieben Konzerten in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2013 war sogar eine große Tournee durch Rumänien geplant; dazu kam es jedoch leider nicht mehr. Dazu später mehr.

Mit dem Kammerchor Vocalis verbinden Teresa und ich viele schöne Erlebnisse. Die jungen Leute im Chor legten eine ganz besondere Hingabe an den Tag und verstanden sich untereinander sehr gut. Die Programme bestanden in der Regel aus einem Teil mit Kompositionen aus dem klassisch/romantischen Repertoire und einem Teil mit Liedern, die dem Liedgut der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage entstammten und in Arrangements zu hören waren, die auch der weltbekannte Tabernakelchor aus Salt Lake City im Repertoire hat – mit dem Unterschied, dass Vocalis diese Lieder in deutscher Sprache vortrug. Das sicherte ihm ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, und das war sicherlich einer der Gründe, warum viele der Konzertbesucher spätestens beim Schlussapplaus feuchte Augen bekamen und den Chor nur sehr ungern wieder ziehen ließen. Der Chor war ein Publikumsmagnet und trat nicht nur in Gemeindehäusern, sondern auch in Konzertsälen und in anderen Kirchen unentgeltlich auf – immer waren die Sitze im Auditorium bestens gefüllt, und immer wurde im Anschluss ans Konzert für einen guten Zweck Geld gesammelt.

Greifswald, Karlsruhe, Linz, Zollikofen, Stuttgart, Traben-Trarbach, Essen, Leipzig und Kiel sind nur einige wenige Orte, die mir spontan in den Sinn kommen, wenn ich daran denke, wo Teresa und ich überall mit dem Kammerchor Vocalis konzertiert haben. Ein durchschnittliches Konzertwochenende lief in etwa so ab: Anreise am Freitagabend mit gemütlichem Beisammensein und Spieleabend im Gemeindehaus der gastgebenden Gemeinde, am Samstagvormittag dann eine kleine Schlussprobe, anschließend Pilgern in die Stadtmitte und Singen in der Fußgängerzone, um Werbung für das Konzert am Abend zu machen und die Kirche vorzustellen. Dabei wurden Lieder aus dem Gesangsbuch zu Gehör gebracht. Anschließend Mittagessen im Gemeindehaus, das von vielen lieben, helfenden Händen zubereitet worden war. Abends das Konzert mit Stellprobe und einer Zeugnisversammlung kurz bevor es losging. Die Mitglieder der Kirche vor Ort hatten sich immer mächtig ins Zeug gelegt, was das Rühren der Werbetrommel anging, und so konnten wir in der Regel vor einem Publikum von 200 bis 500 Leuten singen. Meistens begleitete uns Bonny Tewes am Klavier oder Flügel, gelegentlich spielte sie auch die Pfeifenorgel, sofern vorhanden. Nach dem Konzert mischten wir uns noch unter die Leute. Der Sonntag darauf war „Music And The Spoken Word“ gewidmet. In der Abendmahlsversammlung der gastierenden Gemeinde kamen mehrere Mitglieder des Chors zu Wort; musikalisch untermalt wurde das Ganze durch zwei, drei Lieder aus dem Konzertrepertoire. Ein unvergessliches Erlebnis für die Gemeinde! Man muss hierzu wissen, dass die wenigsten es schaffen, einen eigenen Chor auf die Beine zu stellen. Mit den rund 30 Sängerinnen und Sängern des Kammerchors Vocalis platzte das Podium selbst in den größeren Gemeinden aus allen Nähten. Die Botschaften und die Musik waren von hoher Güte und aus einem Guss. Nach dem Gottesdienst trennten sich unsere Wege und jeder fuhr wieder nach Hause. Das nächste Konzert war dann schon zwei oder drei Wochen später wieder angesetzt.

2013 wurde der Chor von der Nachricht überrascht, dass die Kirche nicht mehr länger als Sponsor auftreten könne. Es war eine Entscheidung der damals neu formierten Gebietspräsidentschaft. Der Kammerchor Vocalis war eine Herzensangelegenheit des vormaligen Gebietspräsidenten gewesen. Der neue Präsident sah die Sache leider anders. Für die Chormitglieder war das ein großer Schock, denn die Streichung der Fördermittel bedeutete das Aus für den Chor in seiner damaligen Form. Die jungen Leute hätten sich niemals die aufzubringenden Reisekosten leisten können. Uns wurde nahegelegt, die Chormusik in den eigenen Pfählen und Gemeinden mehr zu fördern und gegebenenfalls in der Region für bestimmte Events einen Projektchor aufzustellen, der danach wieder aufzulösen sei. Das stand selbstredend der Philosophie und dem Qualitätsanspruch des Kammerchors Vocalis diametral entgegen. Rückblickend ist festzustellen, dass durch diese Maßnahme die Chormusik in der Kirche wieder in die Steinzeit zurückkatapultiert wurde. Ich persönlich kenne keine Gemeinde mehr, die einen festen Gemeindechor hat, und die Qualität des Gesangs von ad hoc zusammengestellten Chören bei größeren Veranstaltungen heute entspricht genau dem, was man bei einem so geringen Einsatz erwarten kann. Kein Vergleich zu einem Ensemble, das über viele Jahre zusammengewachsen ist und dessen Dirigent akribisch am Chorklang feilt.

Eine besondere Rolle hat beim Kammerchor Vocalis immer die vierstimmige Motette Sicut Cervus von Giovanni Pierluigi da Palestrina gespielt. Sie ist die lateinische Vertonung des Psalms 42 (Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, nach dir, Gott) und wird a cappella gesungen. Der Tenor beginnt, in Fugatomanier fallen dann Alt, Sopran und schließlich der Bass ein. Wir haben die Motette oft vor dem eigentlichen Konzert gesungen, und zwar beim Eintreten in den Saal und bei der Aufstellung auf der Bühne. War das letzte Chormitglied auf der Bühne angekommen, erklang der letzte Ton. Das wirkte sehr feierlich, edel und geistig. Natürlich konnten wir das Stück alle auswendig. Bei unserem Auftritt in Essen, ich glaube es war 2012, fuhr der gesamte Chor mit der Straßenbahn in die Stadtmitte, um wie immer die Menschen in der Fußgängerzone für das Konzert am Abend zu begeistern. Ohne dass es abgesprochen war, fing plötzlich einer unserer Tenöre an zu singen. Die anderen fielen ein, es folgten Alt, Sopran und Bass. In der Straßenbahn waren nur himmlisch anmutende Harmonien zu hören. Als das Stück zu Ende war und wir aussteigen mussten, konnte ich spüren, dass es bei den (unfreiwilligen) Zuhörern Eindruck hinterlassen hatte. Es war für alle Beteiligten ein ungewöhnliches und einzigartiges Erlebnis.

vor dem Konzert
2011 kurz vor dem Konzert

Einige der Chormitglieder des Chors haben diese Motette bei Teresas Beisetzung an ihrem Grab gesungen. Welches Stück hätte besser passen können? Der Psalm 42, insbesondere in dieser Vertonung, spendete den dringend benötigten Trost. Heute jährt sich Teresas Todestag zum achten Mal. Erinnerungen mögen verblassen, doch es kann sie uns niemand nehmen.

Kammerchor Vocalis Weihnachten 2021 in Kiel

Anruf eines Weltstars

Am Vorabend von Teresas siebenundfünfzigstem Geburtstag scheint es mir an der Zeit, eine Geschichte in Erinnerung zu rufen, die etwa 15 Jahre zurückliegt.
Damals hatten sich Teresa und ich einen Dokumentarfilm im Fernsehen angesehen, der die Karriere von Thomas Quasthoff zum Thema hatte, der 1988 einen der renommiertesten Musikwettbewerbe der Welt, den ARD-Musikwettbewerb, gewonnen hatte.  Thomas Quasthoff war eines der vielen Contergan-Opfer der Sechzigerjahre und mit schweren Behinderungen auf die Welt gekommen. Aufgrund dieser Behinderungen wurde es ihm verwehrt, ein Musikstudium aufzunehmen, was ihn jedoch nicht davon abhalten konnte, dennoch privat Gesang zu studieren. Er stellte sich als außerordentlich begabt heraus und schaffte es dank seiner herausragenden Fähigkeiten, international im rauen Business der berufsmäßigen Sangeskunst Fuß zu fassen. Zudem brachte er es zum Professor für Gesang, zunächst in Detmold, später in Berlin, wo er auch heute noch lehrt.
Manches in Professor Quasthoffs Werdegang erinnerte mich an Teresa. Selbstredend war sie nicht im eigentlichen Sinn behindert; dennoch wurde es auch ihr in ihrer Jugend verwehrt, ihre berufliche Laufbahn an ihren Neigungen und Vorlieben auszurichten. So kam mir der Gedanke, Professor Quasthoff anzuschreiben, ihm eine Aufnahme mit Teresas Stimme zu schicken und ihn um seine Einschätzung zu bitten, ob es sich für Teresa lohnen würde, eine Gesangskarriere anzustreben. Hier mein Brief im Originalwortlaut:

Sehr geehrter Herr Quasthoff,
bitte erlauben Sie, dass ich heute mit einer etwas ungewöhnlichen Bitte an Sie herantrete. Lassen Sie mich mein Anliegen kurz erklären: Vor einigen Monaten habe ich im Fernsehen einen längeren Bericht über Sie verfolgt, der mich persönlich sehr bewegt hat. Ihr Werdegang, Ihr hartes Schicksal und Ihr eiserner Wille, ein vorhandenes außergewöhnliches Talent trotz der widrigen Umstände weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen, haben meine Frau und mich zutiefst beeindruckt.
Ich bewundere Sie als einen Mann, der als Lehrer nicht nur über große gesangliche Fähigkeiten verfügt, sondern auch in der Lage ist, Stimmen und Persönlichkeiten objektiv einzuschätzen; außerdem verfügen Sie über eigene reiche Erfahrungen mit den Schwierigkeiten einer Karriere „auf Umwegen“. Meine Frau kam vor etwa 15 Jahren nach Deutschland. Sie wurde 1962 in Taiwan geboren, ist jetzt also 41 Jahre alt; in ihrer Heimat hatte sie leider nicht die Gelegenheit, ihre musikalisch/gesanglichen Talente so zu entwickeln, wie sie sich das vielleicht gewünscht hätte. In Deutschland begann sie 1989, also im Alter von 27 Jahren, privaten Gesangunterricht in München zu nehmen. Sie merkte bald, dass ihr das Singen viel Freude macht und war mit großer Begeisterung bei der Sache. Ein paar Jahre später hatte sie auch Gelegenheit, bei einer Agentur in München vorzusingen. Ein mögliches Engagement an einem kleinen Theater weit weg von ihrem Heimatort und ihrer Familie lehnte sie jedoch ab, da ihr dieses Opfer zu groß erschien. Als wir 1994 nach Augsburg übersiedelten, hatte meine Frau die Gelegenheit, als Mitglied im Extrachor des Stadttheaters bei vielen Opernproduktionen mitzuwirken; so hat sie den Theaterbetrieb aus nächster Nähe kennengelernt und festgestellt, dass dies nicht ihre Welt ist. Sie mag weder die Atmosphäre aus Missgunst, Neid und Karrierestreben unter den Künstlern, noch den Zwang, dem man durch die Willkür der Regisseure ausgesetzt ist. Sie entschloss sich daher, dem Theater den Rücken zu kehren, obwohl sie mit ihrer Stimme ohne Probleme eine feste Anstellung im Opernchor hätte bekommen können.
Währenddessen entwickelte sich ihre Stimme weiter. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt eine sehr, sehr gute Lehrerin: Mary Beth Armes, die jetzt wieder in den Vereinigten Staaten lebt. Ihre jetzige Lehrerin ist Frau Celia Jeffreys, eine Britin, die als Dozentin an der Musikhochschule München wirkt.
2001 habe ich das erste Mal für meine Frau ein öffentliches Konzert in Augsburg organisiert. Sie hat dort ein Programm gesungen, das hauptsächlich aus Liedern von deutschen Komponisten der Romantik bestand. Der Saal war gut besucht, und das Konzert war ein schöner Erfolg (auch die Kritik in der Augsburger Allgemeinen war sehr wohlwollend). Im abgelaufenen Jahr haben wir dieses Vorhaben wiederholt; diesmal mit einem italienischen Programm (Arie Antiche und Arien von Mozart, Rossini und Puccini). Ein Mitschnitt dieses Konzerts liegt meinem Brief an Sie bei. Meine Frau ist sich manchmal unsicher, ob es einen Sinn ergibt, weiterzumachen mit dem Gesang, da sie glaubt zu alt zu sein, um wirklich noch etwas „erreichen“ zu können. Der Zuspruch ihrer Freunde zählt für sie nicht, weil sie denkt, das seien Schmeicheleien, wie sie Freunde eben machen. Ich weiß aber, dass Singen ein wichtiger Teil ihres Lebens ist, und daher möchte ich Sie, Herr Quasthoff, bitten, ob es Ihnen möglich ist, sich die beiliegende CD anzuhören und mir Ihre Einschätzung mitzuteilen.
Vielleicht können Sie mir auch den einen oder anderen Ansprechpartner nennen, an den ich mich wenden kann, um musikalische Projekte gemeinsam mit meiner Frau zu planen. Ich weiß, dass mein Unterfangen reichlich kühn ist, denn Ihre Zeit ist sicherlich zu kostbar, um Anfragen dieser Art zu bearbeiten. Dennoch ist es meine Hoffnung, dass vielleicht sogar eines Tages eine Begegnung daraus werden könnte, denn Briefe und CD-Aufnahmen alleine können nie so aussagekräftig wie eine persönliche Bekanntschaft sein.
Im Voraus bereits vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Mit herzlichen Grüßen

Wolfgang Gebauer

Nie hätte ich damit gerechnet, dass auf meinen Brief irgendeine Reaktion erfolgen könnte. Weit gefehlt!
Eines Abends kam ich von der Arbeit nach Hause, und Teresa eröffnete mir, sie hätte am frühen Nachmittag einen Anruf eines Unbekannten erhalten und zunächst gar nicht mitbekommen, um wen es sich überhaupt handelte. Im Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass es Thomas Quasthoff gewesen war. Offenbar fand er ihre Geschichte und ihre Stimme so interessant, dass er kurzerhand zum Telefonhörer griff, um persönlich mit ihr über ihre Karriere zu sprechen. Was die beiden besprochen haben, weiß ich leider nicht genau.  Ich erinnere mich nur, dass Professor Quasthoff Teresa gerade in einem ungünstigen Moment erwischt hatte, und sie ihm wohl erklärt haben muss, ihr käme es im Grunde genommen überhaupt nicht darauf an, als Sängerin Erfolg zu haben. Daraus schloss ihr Gesprächspartner messerscharf, dass wohl ich derjenige sei, der seine Hoffnungen und Wünsche in sie projiziere und beendete das Gespräch etwas verärgert. Möglicherweise hatte er damit nicht ganz unrecht.
Wie dem auch sei: Thomas Quasthoff, bereits damals ein Weltstar und eine Koryphäe auf dem Gebiet des klassischen Gesangs, hatte sich für Teresa und ihre Stimme interessiert und befand sie für genügend talentiert, um sich persönlich mit ihr zu befassen. Für mich war das eine Art Gütesiegel – nicht in dem Sinn, dass Teresas Stimme vollkommen ist und keiner Fortbildung mehr bedarf, sondern eher in dem Sinn, dass sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit das Potenzial besaß, mit den ganz großen der Branche eines Tages mitzuhalten. So hatte auch ich es immer empfunden. Es war also tatsächlich eine Einschätzung, die auch von ausgewiesenen Fachleuten geteilt wurde.

Alles Gute zum 56. Geburtstag, liebe Teresa!

Heute – und nicht nur heute – wird mir wieder schmerzlich bewusst, wie sehr du mir fehlst. Du hast ein Leben vorgelebt, das in allem, was du unternommen hast, geradezu radikal war: ehrlich, aufrichtig, ohne faule Kompromisse. Du hast geliebt bis zur Selbstaufgabe, und für die dir übertragenen Aufgaben hingebungsvoll gekämpft. Was du erlebt und vollbracht hast, hätte für mehr als ein Leben ausgereicht. Du warst wie eine Kerze, die an zwei Enden brennt und das Leben zahlreicher Menschen positiv beeinflusst hat. Nichts war dir egal, in allem hast du Stellung bezogen. Mit deinem untadeligen Lebenswandel und starken Argumenten konntest du deine Meinung untermauern und deinen Gegnern so den Wind aus den Segeln nehmen. Wer mit dir stritt, musste sich warm anziehen; wen du ins Herz geschlossen hast, hatte eine ewige Freundin gewonnen. Du wirst niemals vergessen sein, niemals! Der Stern auf dem Walk of Fame in den Ewigen Hallen des Ruhms war bereits für dich reserviert, als du deine irdische Reise begonnen hast. Dein Schöpfer wusste, was für ein besonderer Geist du warst. Deswegen hat er dir ein Leben ermöglicht, in dem du nichts geschenkt bekommen hast, sondern dir all deine Errungenschaften selbst hast erarbeiten müssen.  Ob ich der Richtige war, dich mehr als die Hälfte deines Lebensweges zu begleiten, dich deinem Kulturkreis und deiner Familie zu entziehen? Manchmal zögere ich, wenn ich über eine Antwort nachdenke. Aber heute denke ich: ja, es war richtig. Du wärst in deiner alten Umgebung eingegangen wie eine verwelkende junge Pflanze ohne Aussicht auf Wasser und Sonne. Der radikale Wechsel hat dir geholfen, zu dir selbst zu finden und die Vergangenheit hinter dir lassen zu können. Ich danke dir für 26 wunderbare Jahre an deiner Seite!

Teresa bei unserer Hochzeitsreise vor einem Konfuzius-Denkmal
Teresa im YangMingShan-Nationalpark
Teresa im YangMingShan-Nationalpark bei Nebel

 

 

 

Ein Traum

Heute ist Teresas 55. Geburtstag. Diesen Tag habe ich mir immer freigenommen, um etwas besonderes mit ihr zu unternehmen – so auch heute. Meistens haben wir einen Ausflug in die Berge gemacht. Heute kam mir in den Sinn, einen Traum aufzuschreiben, den ich vor gut eineinhalb Jahren hatte und in dem Teresa die Hauptrolle spielt. Dazu muss ich sagen, dass ich ausgesprochen selten von ihr träume und ich mich zudem nach dem Aufwachen meistens nur noch bruchstückhaft oder überhaupt nicht mehr daran erinnern kann, was ich geträumt habe. Hier nun mein Traum vom Januar 2016:

Neulich habe von Teresa geträumt und davon, dass ich sie im Krankenhaus besucht habe. Es schien ihr gar nicht schlecht zu gehen, und wir haben darüber gesprochen, dass wir zusammen essen gehen wollen. Eine Krankenschwester trat hinzu und bat Teresa, ihr in ein anderes Zimmer zu folgen. Es hieß, sie seien nur kurz fort. Beide waren dann aber längere Zeit weg, und ich begann, mir Sorgen zu machen. Schließlich beschloss ich, nach Teresa zu suchen.

Schon bald hörte ich laute Stimmen, und als ich Teresa schließlich fand, musste ich feststellen, dass die Krankenschwester sie anschrie. Daraufhin habe ich sie zurechtgewiesen und ihr gesagt, dass sie meine Frau nicht anschreien darf. Die Krankenschwester war aber sehr aggressiv, und so versuchte ich, ihre Hände nach unten zu drücken. Da sie sehr kräftig war, widerstand sie mir, und eine Zeitlang rangen wir miteinander. Die Situation war sehr schwierig, und Teresa nützte den Moment, um an mir vorbeizulaufen und sich in Sicherheit zu bringen. Nachdem ich Teresa in Sicherheit wusste, ließ ich von der Krankenschwester ab. Nach diesem unschönen Erlebnis suchten Teresa und ich dann ein anderes Krankenhaus auf.

In dem anderen Krankenhaus hatte Teresa ein sehr kleines Zimmer und zunächst Probleme, die Tür mit ihrem Schlüssel aufzusperren. Schließlich ging es aber doch, und wir konnten hinein. Anschließend besprachen wir, dass wir regelmäßig mittags gemeinsam essen wollen. Ich musste die ganze Zeit weinen und sagte ihr, wie glücklich sie mich macht. Doch Teresa entgegnete, es sehe gar nicht so aus, als ob ich glücklich sei, denn schließlich würde ich doch ununterbrochen weinen. Daraufhin wurde ich noch trauriger, und ich musste nur noch mehr weinen.

Dann fragte ich sie, wie es ihren Lymphknoten geht, und Teresa meinte, alles sei schon viel besser, und vom Krebs würde man eigentlich nicht mehr so viel sehen. Man könne aber auch nicht viel sehen, weil der Krebs ja schließlich im Körper sei. Jedenfalls hegte ich daraufhin die große Hoffnung, dass sie vielleicht doch wieder gesund werden könnte. Als wir uns dann gemeinsam auf die Suche machten, wohin wir essen gehen könnten, haben wir erst einmal nichts passendes gefunden. Es gab da nur Geschäfte mit Haushaltswaren und dergleichen, aber keine Restaurants.

An dieser Stelle bin ich aufgewacht. Was der Traum wohl bedeuten mag? Ich stelle mir vor, dass die Krankenschwester für die Schulmedizin steht, der Teresa zutiefst misstraut hat, und vor der sie in diese kleine Klinik südlich von Pirmasens im Pfälzer Wald geflohen ist. Dort wurde ihr Hoffnung gemacht, wieder gesund werden zu können, eine Hoffnung, die sich – wie wir alle leider wissen – nicht bewahrheitet hat. An unserem Hochzeitstag, dem 12. Februar 2014, sind wir ein letztes Mal gemeinsam zum Essen ausgegangen. Wir sind über die nahegelegene Grenze nach Frankreich gefahren, eine sehr kurvige Strecke. Ich musste extrem vorsichtig fahren, weil Teresa sehr leicht übel wurde. Wieder in der Klinik angekommen, war sie sehr schwach und musste sich schließlich übergeben. Damals war es mir natürlich nicht bewusst, aber es war unser letztes Rendez-Vous, und sie ist sehr tapfer gewesen.

Teresas dritter Todestag

Am 14. April 2014 war der Missionspräsident Richard L. Miles mit seiner Frau Brenda im Augsburger Gemeindehaus zu Besuch. Die beiden haben sich nach den Versammlungen mit mir noch unterhalten wollen, und so zogen wir uns in ein Nebenzimmer zurück. Dort haben sie mir ein kostbares Geschenk überreicht: Neben einer CD mit dem Tabernakelchor („Peace like a river“) noch ein Album mit Zeugnissen vieler Missionarinnen und Missionare, die Teresa gekannt haben. Manche hatten sie zwar nicht gekannt, auf ihrer Mission aber von ihr gehört. Die meisten der Zeugnisse und Schilderungen von Erlebnissen haben mich zu Tränen gerührt. Es wurde deutlich, wie sehr Teresa die Liebe zu den Menschen verinnerlicht hatte. Diese Liebe war ihr innerer Antrieb, und sie befähigte sie zu außergewöhnlichen Leistungen. Ich bin für dieses kostbare Album sehr, sehr dankbar.

Album der Missionare

Lieber Bruder Gebauer,

es ist mir eine Ehre, mein Andenken an Ihre liebe Frau in Worte zu fassen. Ihre Taten versetzen einen in Erstaunen. Sie war ein großartiges Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und eine treue Missionarin.

Als ich Schwester Gebauer das erste Mal begegnete, hatten meine Frau und ich gerade erst unsere Mission angetreten. Sie wollte mich nur wissen lassen, dass sie bereit sei, eine musikalische Fireside für den Pfahl München und insbesondere für die Freunde der Kirche auf die Beine zu stellen, die von unseren Missionaren betreut werden. Sie war unglaublich begeistert und beharrlich. Mir dämmerte langsam, wie erstaunlich sie war. Ihre Begeisterung war überaus ansteckend; nie hörte sie auf zu lächeln oder anderen Gutes zu tun.

Im Verlauf der nächsten zweieinhalb Jahre zauberte es auch mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, wenn mir wieder einer der zahlreichen Berichte über ihre Missionsarbeit zugetragen wurde. Eine wahrlich erstaunliche Missionarin! Schwester Gebauer hat verinnerlicht, was Elder M. Russel Ballard bei der Herbst-Generalkonferenz 2013 zum Ausdruck brachte:

„Wenn Sie dauerhaft Liebe und Hoffnung in sich tragen, gilt Ihnen die Verheißung des Herrn: ‚Erhebt eure Stimme zu diesem Volk; sprecht die Gedanken aus, die ich euch ins Herz geben werde, dann werdet ihr vor den Menschen nicht zuschanden werden.‘“

Wir alle wissen, dass Schwester Gebauer in diesem Leben nicht vor den Menschen zuschanden wurde, und ich bin mir sicher, dass dies auch auf der anderen Seite des Schleiers nicht der Fall ist. Sie war durch und durch eine Jüngerin Christi und seinem Evangelium, das sie von ganzem Herzen geliebt hat, treu ergeben. Mögen wir alle bereit sein zu geben wie sie von sich gegeben hat. Wir haben sie sehr ins Herz geschlossen.

Präsident Richard L. Miles

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Teresas Gedenkstätte

Heute, am 29. September 2016, ist Teresas Geburtstag. Die Gestaltung ihrer Gedenkstätte auf dem Stätzlinger Friedhof hat sich mehr als zwei Jahre hingezogen, das lange Warten hat sich aber meines Erachtens mehr als gelohnt.

Als ich einen Freund neulich auf den Friedhof führte und ihm vorher erklärte, dass er ein paar Dinge zu sehen bekommen würde, die Teresa besonders am Herzen lagen, meinte er spontan: „Da ist bestimmt etwas mit Musik dabei!“ Als ich das hörte, musste ich schmunzeln. Es ist ja bereits ausgesprochen schwierig, gute Musik angemessen mit Worten zu beschreiben. Sie bildhauerisch darzustellen, erfordert wohl wirklich große Kunst. Außer der Musik waren Teresa aber noch andere Dinge wichtig. An dieser Stelle ist es wohl angebracht, ihre Katze Mao-Mao zu erwähnen. Teresa war ja nicht nur tierlieb, sondern hatte die Gabe, sich auf besondere Weise in Tiere hineinzufühlen. Und zu Mao-Mao hatte sie eine äußerst innige Beziehung, wie man auf dem einen oder anderen  Foto recht gut erkennen kann:

Mao-Mao folgte Teresa, wenn sie das Haus verließ, brachte sie zum Bus und wartete vor Geschäften. Er war tatsächlich eine Art Seelenverwandter, und sie konnte auf einer spirituellen Ebene mit ihm kommunizieren.  Mao-Mao musste im Dezember 2011 nach schwerer Krankheit im Alter von 18 Jahren eingeschläfert werden. Teresa war fest davon überzeugt, dass sie ihrem Kater im Jenseits wieder begegnen würde.

Obwohl  Teresa der Musik, den Tieren und nicht zuletzt ihrem Ehemann viel Zeit widmete, stand im Zentrum ihres Lebens stets Jesus Christus und sein Evangelium. Als ich darüber nachdachte, wie Teresas Gedenkstätte gestaltet werden könnte, fand ich es passend, diese zwei Aspekte ihres Lebens darzustellen. Also beschrieb ich dem Bildhauer ein Ensemble, in dem Christus im Mittelpunkt stehen sollte. Ihm gegenüber sollte eine Frau mit einer Katze im Arm knien und zu ihm hinblicken. Nach einer langen Phase der Planung war ich endlich zufrieden und erteilte die Freigabe zur Fertigung der Figuren. Die Jesus-Statue ist eine genaue Replik der berühmten Christusfigur von Bertel Thorvaldsen, die in Kopenhagen in der Liebfrauenkirche besichtigt werden kann. Sein Christus ist gütig und breitet die Arme aus, um alle willkommen zu heißen, die zu ihm kommen wollen. Keine andere Abbildung von Christus kommt dieser gleich – Teresa mochte sie sehr. Die kniende Frau mit der Katze stellt sie dar. Sie trägt ein schlichtes Kleid, hat ihren Mao-Mao auf dem Arm und erwartet ihren Heiland, dessen treue Jüngerin sie ihr ganzes Leben lang gewesen war. Auf dem elegant geschwungenen Stein steht auf Deutsch und auf Chinesisch zu lesen: „Dein Wille geschehe.“ Diese Worte bilden im Grunde das Lebensmotto Teresas und waren ihre letzten Worte, bevor sie durch ihre Krankheit die Kontrolle über ihren Körper und damit auch über ihre Sprache zunehmend verlor. Sie sind Ausdruck des unbeirrbaren, festen Glaubens, von dem sie tief durchdrungen war.

Teresas Gedenkstätte im Stätzlinger Friedhof lädt zum Verweilen und Nachdenken ein. Sie soll an eine großartige, treue und wahrhaft christliche Frau erinnern, die sich durch Widrigkeiten in ihrem Leben nicht aus der Bahn werfen ließ und beharrlich ihren Weg gegangen ist. Sie soll auch daran erinnern, dass der Tod keine Macht über uns hat. Dank Christus kann sich der Mensch eines Tages über den Tod erheben und ewig in der Gegenwart seines Schöpfers im Kreis derer leben, die den Weg zuvor gegangen sind oder ihn noch gehen müssen.

Teresa hat diesen Weg hinter sich gebracht. Sie ist in die Ruhe ihres Herrn eingegangen, hat sich der irdischen Sorgen entledigt und harrt voll Freude auf ein Wiedersehen mit uns, die wir uns noch diesseits des Schleiers befinden.

Teresas zweiter Todestag

Teresa 1989 im Youth Park in Taipei
Teresa 1989 im Youth Park in Taipei

Morgen jährt sich Teresas Todestag zum zweiten Mal. Die vergangenen beiden Jahre waren äußerst turbulent – anfangs sehr schwierig, denn ein Leben ohne Teresa war für mich einfach unvorstellbar. Die Nächte, in denen ich weinend einschlief und die Tage, an denen ich mich morgens gramgebeugt aus dem Bett quälte und mich ohne Aussicht auf Besserung in die Arbeit schleppte, habe ich nicht gezählt; die überfallartigen Trauerattacken, die mich immer wieder tagsüber heimsuchten und die ich vor meinen Arbeitskollegen verbarg, ebenfalls nicht. Die tröstenden Worte von Freunden und Angehörigen, dass die Zeit alle Wunden heilen würde und ich eines Tages über diesen tragischen Verlust hinwegkommen würde – sie klangen in meinen Ohren schal und platt. Ich dachte mir: Sie haben keine Ahnung, sie wissen nicht wovon sie reden, sie haben es nicht selbst erlebt. Trost brachte mir erstaunlicherweise, nach und nach, etwas ganz anderes.

Ende April 2014, keine zwei Monate nach Teresas Tod, begab ich mich auf Spurensuche. Ein bestimmter Gedanke ließ mich nicht mehr los: ich wollte mich mit dem Theater Augsburg in Verbindung setzen und versuchen, für den Extrachor vorzusingen. Teresa hatte in diesem Chor selbst etwa fünf Jahre mitgesungen und war an zahlreichen Opernproduktionen im Großen Haus und auf der Freilichtbühne beteiligt gewesen. Ich folgte dieser Eingebung, und zu meiner großen Überraschung gelang es mir sofort, in den Chor aufgenommen zu werden. Den Frühsommer 2014 verbrachte ich also auf der Freilichtbühne – mit My Fair Lady, dem Musical, das Teresa selbst 15 Jahre zuvor an der gleichen Stelle gesungen hatte. Viele von den Chormitgliedern des Extrachors und auch des Opernchors kannten Teresa noch und hatten sie als nette Kollegin in guter und angenehmer Erinnerung. Ich war in eine Welt eingetreten, die Teresa vorbehalten und mir unbekannt gewesen war und die sich mir nun Stück für Stück öffnete.

Was für ein unvergleichliches Abenteuer das war! Die heilende Wirkung der Musik, von der Teresa immer wieder gesprochen hatte, war keine Einbildung – das konnte ich deutlich spüren! Dankbaren Herzens stand ich Abend für Abend auf der Bühne – erst auf der Freilichtbühne, später dann im Großen Haus – und erlebte die Meisterwerke des Musiktheaters hautnah mit. Im Lohengrin beispielsweise ist die Ouvertüre ergreifend schön, und da der Chor als Stillleben inszeniert war und sich gar nicht bewegen durfte, konnte ich diese Musik regelrecht in mich aufsaugen. Es hatte fast schon eine hypnotische Wirkung.

Im Chor habe ich auch Constanze kennengelernt. Sie antwortete mir auf eine Mailnachricht, die ich an alle Mitglieder des Extrachors gerichtet hatte und in der ich mich dafür bedankt hatte, so gut aufgenommen worden zu sein. Wir schrieben uns öfter, sahen uns natürlich auch auf der Bühne und bei den Proben, und verliebten uns am 2. Januar 2015 ineinander, als ich sie anlässlich eines Essens, zu dem sie mich eingeladen hatte, in München besuchte. Seit diesem Tag waren wir ein Paar, hielten das aber noch eine Weile vor den Kollegen im Theater geheim. Witzigerweise inszenierte uns der Regisseur von Macbeth, Lorenzo Fioroni, in dieser Produktion als Paar, und wir schlenderten Arm in Arm über die Bühne, obwohl niemand wusste, dass wir tatsächlich zusammengehörten. Fioroni hatte es gespürt!

Constanze und ich planten unsere Hochzeit für den 8. August 2015. Das ist ein besonderer Tag, da Augsburg das hohe Friedensfest feiert, das Standesamt in Friedberg aber geöffnet hat. Einen Tag später schon waren wir gen USA in die Flitterwochen entschwunden, wo wir unvergessliche Tage in Denver, Salt Lake City und Las Vegas verbrachten. Einer der vielen Höhepunkte dieser Reise war eine Probe mit dem Tabernakelchor im Konferenzzentrum in Salt Lake City unter dem Dirigenten Mack Wilberg.

Constanze musste ihrem geliebten München den Rücken kehren. Sie kündigte ihren Job und zog zu mir nach Friedberg, was für sie ein großes Opfer bedeutete. Eine ihrer ersten Ideen zur innenarchitektonischen Ausgestaltung unseres gemeinsamen Heims war, Teresas schönes Porträtfoto zu vergrößern, zu rahmen und prominent im Eingangsbereich zu platzieren. Dort hat auch eine Christusstatue – eine Nachbildung der berühmten Christusstatue von Thorvaldsen – ihren Platz gefunden. Es ist ein schöner, friedlicher Ort geworden, ein Ort der Andacht und der Erinnerung an eine Frau, die ein so erfülltes und reiches Leben geführt und so viele Menschen positiv beeinflusst hat.

In den letzten Monaten habe ich nicht viel auf Teresas Website veröffentlicht – zu frisch war der Schmerz in mir eingebrannt. Ihr Erbe und ihr Andenken sind aber keinesfalls in Vergessenheit geraten – im Gegenteil: ich bin heute dankbarer für sie denn je. Und das viele Material – in Form von Fotos, Tagebucheinträgen, Ansprachen, Notizen, Musikbeiträgen und  Videofilmen –, das es von ihr und über sie noch gibt, werde ich im Laufe der Zeit nach und nach veröffentlichen, denn sie hat es verdient, und ich fühle mich mittlerweile in der Lage dazu. Für mich war und ist Teresa eine der wahrhaft großen Frauen unserer Zeit, und ich bin meinem Vater im Himmel sehr dankbar dafür, dass ich 26 wunderbare Jahre lang für sie da sein durfte.

 

Teresa und das Vorsingen

Um als Sänger Erfolg zu haben – also einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden –, muss man vorsingen, und zwar entweder beispielsweise an einem Theater oder bei einer Agentur, die sich der Vermittlung von Künstlern für Auftritte widmet.

Teresa hat im Alter von 27 Jahren mit privatem Gesangsunterricht begonnen. Nachdem sie recht bald bemerkt hatte, dass sie Talent zum Singen hat und sich ihre Stimme zu entfalten begann, wollte sie natürlich auch gern wissen, ob sie sängerisch vor größerem Publikum würde bestehen können. Also meldete sie sich eines Tages für ein Vorsingen in München an. Soweit ich mich entsinne, wurde es von einer Agentur organisiert und fand an der Staatsoper statt. Teresa berichtete mir später, die Juroren hätten ihre Stimme wohlwollend beurteilt und ihr angeboten, sie an ein Opernhaus in der Provinz zu vermitteln. Da sie auf keinen Fall aus München wegwollte, nur um in einer fremden Stadt getrennt von ihrem Mann ein Engagement als Sängerin zu erfüllen, war das für sie keine wirklich überlegenswerte Option.

Später sang sie am Stadttheater Augsburg vor und machte ein paar Jahre im Extrachor mit, wo sie an vielen Produktionen im großen Haus und auf der Freilichtbühne mitwirkte (unter anderem My Fair Lady, Frau Luna, Nabucco, Lohengrin, …). Die Umgebung im Theater behagte ihr aus den verschiedensten Gründen jedoch nicht sonderlich. Unter anderem mochte sie nicht, dass sie vereinzelt auch sonntags auftreten musste. Für sie war der Sonntag der Tag des Herrn, und sie wollte in dieser Hinsicht keine Kompromisse eingehen. Aus diesem Grund verließ sie das Theater bald wieder und beschränkte sich im Wesentlichen darauf, vereinzelt abendfüllende Konzerte zu geben, hie und da  mit einzelnen Nummern aufzutreten und ansonsten in ihrer Eigenschaft als Musikverantwortliche für den Pfahl München dafür zu sorgen, dass andere glänzen konnten.

Eines Tages – es muss 2007 gewesen sein – bekam sie mit, dass eine Solo-Sopranistin von einem namhaften Augsburger Dirigenten für die Aufführung geistlicher Werke gesucht wurde. Also bewarb sie sich und sang ihm vor – das Vorsingen fand im Konzertsaal der Hochschule Augsburg statt. Dort steht ein Steinway-Konzertflügel, und Teresa brachte eine befreundete russische Pianistin mit, die sie beim Vorsingen am Klavier begleiten sollte. Der Dirigent nahm im Auditorium Platz; ich saß neben ihm. Teresa trug einige der Stücke vor, die sie im Laufe ihres Sängerlebens schätzen- und liebengelernt hat, vor allem von Puccini, ihrem Lieblingskomponisten. Diese Stücke hatte sie über viele Jahre hinweg immer wieder geübt und gesungen, und sie fühlte sich sichtlich mit und in ihnen wohl. Ich weiß noch, wie dieser Dirigent das Geschehen mit großen Augen verfolgte und bei manchen Stellen voller Ergriffenheit ausrief: „Das ist ja unglaublich!“ oder „Wahnsinn!“.

Es war offensichtlich, dass Teresa bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Nach dem Vorsingen bot er ihr an, den Sopran-Solopart im Mozart-Requiem zu übernehmen, das in der Jakobskirche in Friedberg und an einem weiteren Aufführungsort aufgeführt werden sollte. Teresa freute sich über das Vertrauen, das ihr der Dirigent entgegenbrachte und begann, sich auf die Konzerte so gut sie konnte vorzubereiten. Immerhin war es das erste Mal, dass sie mit großem Orchester singen sollte, und als Kammermusikerin war sie es auch nicht gewohnt, unter einem professionellen Dirigenten zu arbeiten. Es gab nur wenige Solistenproben kurz vor der Aufführung, und am Aufführungstag selbst fühlte sich Teresa nicht besonders wohl.

Es kam, wie es kommen musste. Bei den Proben lief es bereits nicht gerade reibungslos. Teresa kam mit der Dirigierweise nicht gut zurecht und war an manchen Stellen nicht ganz sicher, was den Tenor zu Sticheleien veranlasste. Wer Teresa kennt, weiß, dass ein derartiges Verhalten bei ihr nicht zu einer Leistungssteigerung führt. Im Gegenteil. Ihre Unsicherheit nahm noch zu, und am Tag des Konzerts hatte sie Intonationsprobleme und manche Einsätze klappten nicht ganz. Kurz vor Schluss unterschlug sie bei ihrem Schlusssolo auch noch einen Taktschlag und trieb so dem Dirigenten den Schweiß ins Gesicht. Nun hatte auch der letzte Zuhörer in der gut gefüllten Kirche mitbekommen, dass da etwas nicht gestimmt haben konnte.

Das zweite Konzert lief besser. Aber auch dort fehlte irgendwie der Glanz, und ihrer Stimme fehlte ein wenig die Klarheit und die durchdringende Präsenz, die sie normalerweise auszeichneten. Die Reaktion des Dirigenten kann ich bis heute nicht verstehen. Anstatt sie zu trösten und mit ihr die Ursachen der Fehler zu besprechen, um sie beim nächsten Mal vermeiden zu können, ließ er sie fallen wie eine heiße Kartoffel und sprach nie wieder ein Wort mit ihr. Zudem wurde ihr die Gage vorenthalten, die ihr eigentlich zugestanden hätte. Wenn ich an dieses Erlebnis zurückdenke, fällt mir hierzu nur der Begriff Niedertracht ein. So wurde uns vor Augen geführt, welch große Rolle die Eitelkeit in der professionellen Musikwelt spielt. Menschlichkeit ist in diesem Metier bedauerlicherweise kaum anzufinden. Auf weitere Vorsingabenteuer hat Teresa nach diesem Erlebnis verständlicherweise lieber verzichtet. Sie gefiel sich lieber in der Rolle als Beobachterin, Förderin und Lehrerin.

Trauerfeier – Ansprache Lutz Herber

Der Schriftsteller Matthias Claudius schreibt in seinem Gedicht Abendlied:

„Siehst du den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön! So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“

Einige von uns mögen Teresa Gebauer nur kennengelernt haben, wie sie als Solistin oder als Chorsängerin auf der Bühne stand und mit ihrer Sopranstimme die Zuhörer begeisterte – mit einem Abendkleid angetan. Und wenn Sie sie vielleicht vierzehn Tage später im Gemeindehaus getroffen hätten – mit Jeans, Pullover, Staubsauger und Putzeimer –, hätten Sie sie vielleicht gar nicht wiedererkannt. Das war auch eine andere Hälfte dieses Mondes, den wir vielleicht nicht gesehen haben.

Teresa Gebauer Wang war eine tiefgläubige Mormonin, und sie sah den Zweck ihres Lebens nicht darin, mit ihren musikalischen Talenten zu kokettieren, sondern sie sah den Lebensinhalt darin, für andere da zu sein, anderen zu dienen, auch – natürlich – mit ihren musikalischen Talenten, aber eben auch dienen in Form von etwas in die Hand nehmen und auch weniger wertgeschätzte Arbeiten und Aufgaben zu erfüllen. Sie war sich dessen bewusst, dass dieses Leben die Zeit ist, wo wir uns vorbereiten, dermaleinst unserem Schöpfer wieder zu begegnen. Darüber hinaus war sie in unserer Gemeinde auch als Lehrerin berufen, als Lehrerin für Kinder einer bestimmten Altersstufe – so ungefähr fünf- oder sechsjährige Kinder sind das gewesen, die sie sehr liebevoll jeden Sonntag in Evangeliumsgrundsätzen unterrichtete. Und sie hatte nicht nur die Kinder in ihr Herz geschlossen, sondern auch die Kinder hatten sie lieb und sind am vergangenen Sonntag, als sie erfuhren, dass ihre geliebte Teresa nicht mehr da ist, in Tränen ausgebrochen. Und einer ihrer Schüler, der sechsjährige Jannis, hat ihr ein Bild gemalt zum Abschied, ein Bild von diesem heutigen Tag, von der anschließenden Beerdigung, die stattfinden wird, und er hat erklärt, was er dargestellt hat: Es ist die Teresa bei der Beerdigung mit einer weinenden Sonne und weinenden Menschen, die Teresa zu Grabe tragen. Teresa aber lacht, weil sie Jesus sieht! Sie sieht ihn. Der wunderbare evangelische Theologe Dietrich Bonhöfer schreibt in seinem Gedicht Von guten Mächten unter anderem:

„Von guten Mächten wunderbar geboren, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns, am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Diese Gewissheit hat ihr Leben bestimmt: dass sie eingehüllt ist in die Liebe eines liebenden Vaters im Himmel und seines Sohnes Jesus Christus.

Und diese Liebe hat sie nach außen getragen. Sie hat mit Menschen über ihren Glauben gesprochen und hat Menschen in ihren Bann ziehen können – durch ihren Glauben. So war sie auch hier in unserer Gemeinde an bestimmten Tagen da, um Besucher unserer genealogischen Bibliothek in das Haus zu lassen und ihnen, wenn es notwendig war, die nötige Hilfe bei ihren Ahnenforschungen zu geben. Und eines dieser Ehepaare hat mir gestern ein Beileids-E-Mail geschrieben. Und ich darf kurz ein paar Zeilen aus diesem E-Mail zitieren. Sie schreiben:

„Wir haben Frau Gebauer Wang im Rahmen der Genealogie kennengelernt und schätzen gelernt. Ihre freundliche Art, die wundervollen Gespräche und Plaudereien und ihre Hilfsbereitschaft werden wir sehr vermissen. Wir sind sehr dankbar, dass wir sie kennenlernen durften.“

Sie ist jetzt in eine andere Daseinssphäre hinübergegangen, wo sie von guten Mächten wunderbar geborgen ist und darauf wartet, dermaleinst mit ihrem Mann Wolfgang wieder für immer zusammen zu sein. Dieser wunderbare Glaube dieses sechsjährigen Jannis, der das Bild gemalt hat, ist uns ein Beispiel und Muster. Kinder sind etwas Großartiges. Ihre einfache Art zu glauben und nicht alles zu hinterfragen und für alles eine Antwort wissen zu wollen, sondern einfach nur etwas annehmen zu können, um zu wissen dass es so ist, sollte uns ein Beispiel sein. Jesus Christus hat einmal ein Kind in die Mitte einer Menschenmenge gestellt und hat gesagt:

„Wenn ihr nicht … [so rein und gläubig] wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matthäus 18:3.)

Teresa hatte diesen im positiven Sinne kindlichen Glauben. Und in ihren schweren Wochen der Krankheit hat sie nie das Vertrauen in die Liebe Gottes verloren. Und heute nun verabschieden wir uns von ihr, aber auch wissend, dass für uns einmal diese Stunde kommen wird. Und dann hoffe ich, dass wir sagen können, wir haben uns bemüht, ein gutes Leben zu leben, wir haben unseren Nächsten geliebt. Und wie wir wissen, stehen wir nur im Dienste unseres Gottes, wenn wir im Dienste unserer Mitmenschen stehen. Im Namen Jesu Christi. Amen.