Teresa hat in der Kirche niemals eine Berufung abgelehnt. Sie glaubte an die von Gott verliehene Vollmacht des Priestertums und wusste, dass sie Gott beleidigen würde, wenn sie eine an sie herangetragene Berufung zurückweisen würde. In ihrem Tagebuch schreibt sie: „Mein Wunsch zu dienen ist so stark, dass ich nie Angst hatte, irgendeine Berufung anzunehmen. Ich wünsche mir, Gott näher zu kommen und durch das, was ich tue, mehr Erkenntnis zu erlangen.“
Diese Haltung befähigte sie zu außergewöhnlichen Leistungen in den Aufgaben, die ihr übertragen worden waren. So wurde sie beispielsweise relativ bald als Chorleiterin berufen, hatte jedoch keinerlei Erfahrung, weder was das Dirigieren, noch was die Musik als solche anging. Also setzte sie sich hin, betete und machte sich ans Werk. Sie war sehr wissbegierig und las und lernte viel. Für diese Einstellung wurde damals der Grundstein gelegt, und sie behielt ihre Wissbegierigkeit und ihren Lerneifer ihr ganzes Leben lang bei. Als Chorleiterin war sie mit ihrem kleinen Gemeindechor sehr erfolgreich. Sie nahm mit ihm sogar an einem Chorwettbewerb teil, den sie schließlich gewann.
Teresa hatte das Evangelium ganz und gar und bedingungslos – mit jeder Faser ihres Seins – angenommen. So war es nur konsequent, dass sie sich darauf vorbereitete, eine Mission zu erfüllen. Als sie 21 geworden war, wurde sie zunächst fünf Monate in die Taipei-Mission berufen, von wo aus sie dann die reguläre 18 Monate dauernde Mission in der Taichung-Mission antrat. Insgesamt war sie also fast zwei Jahre auf Mission. Ihre Missionszeit war bis dahin die glücklichste Zeit ihres Lebens, und sie erzählte mir häufig von besonderen Erlebnissen, die sie hatte. Wir besuchten auch, wenn wir gemeinsam Taiwan bereisten, ihre alten Wirkungsstätten, wo viele Erinnerungen wieder wach wurden.
Die Zeit nach ihrer Rückkehr von Mission war schwierig. Teresa nahm eine Arbeit in einem Restaurant an, wo sie für die Buchhaltung zuständig war und auch als Bedienung fungierte und arbeitete fleißig, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn ich mich recht entsinne, hätte sie eigentlich nur zwei freie Tage im Monat gehabt, sie bestand jedoch darauf, am Sonntag frei zu haben, um in die Kirche gehen zu können. An allen übrigen Tagen musste sie von morgens bis spätabends arbeiten.
Als ich Teresa kennenlernte, war sie knapp 25 und zwei Jahre zuvor von Mission zurückgekehrt. Ich lernte sie im Restaurant kennen, das sich gegenüber von meinem Arbeitsplatz befand, dem neu erbauten Nationaltheater mitten in Taipei gleich neben dem Chiang-Kai-Shek-Gedächtnispark. Als ich sie einlud mit mir auszugehen, sagte sie mir gleich, sie habe nicht viel Zeit und es würde nur sonntags gehen. Ich könne mit ihr in die Kirche gehen und anschließend könnten wir in einem nahegelegenen Park spazieren gehen. So taten wir es, und es entwickelte sich rasch eine große Vertrautheit, die mich dazu brachte, sie nach Deutschland einzuladen, um ihr meine Heimat zu zeigen und sie meiner Mutter vorzustellen.
Fünf Monate, nachdem wir uns kennengelernt hatten – am 12. Februar 1988 – heirateten wir und zogen nach Deutschland. Es war eine Zeit, als noch nicht so viele Ausländer wie heute in Deutschland lebten, und lange Zeit schien sich Teresa in Deutschland nicht so recht wohl und aufgenommen zu fühlen. Immer wieder erzählte sie mir, wie sehr sie ihre Heimat vermisse, doch fand sie Freude und Stärkung im Evangelium und in zunehmendem Maße auch in der Musik.
Sie hatte eine von Natur aus schöne Stimme und fing an, Gesangunterricht zu nehmen. Kurze Zeit später kam noch Klavierunterricht dazu. Bald schon erarbeitete sie sich ein umfangreiches Repertoire an Kunstliedern und Opernarien. In Deutschland darf man, wenn man an einer Hochschule Musik studieren möchte, bei der Aufnahmeprüfung nicht älter als 25 sein. Teresa musste daher privat Gesang- und Klavierunterricht nehmen. Singen bereitete ihr viel Freude, und ihre Stimme entwickelte sich schnell. Sie war ein hoher Sopran, der bis zum hohen Es hinaufkam, hatte eine bewegliche Stimme wie ein Koloratursopran, aber ein schöneres und runderes Timbre, und konnte selbst dramatische Partien überzeugend darbieten, ohne durchdringend oder schrill zu klingen. Ihre Stimme hatte einen sehr hohen Wiedererkennungswert und war dennoch sehr wandlungsfähig. Darüber hinaus nahm sie noch Tanzunterricht bei einem chinesischen Tanzlehrer, der sie in die Kunst des Pfauentanzes einführte. Auch hier erreichte sie in ihren ersten Jahren in Deutschland ein sehr hohes Niveau und trat mehrfach öffentlich auf.
Teresas Kochkunst war legendär. Sie hatte bei ihrer Mutter ein Rüstzeug mitbekommen, das es ihr ermöglichte, ohne Kochbuch beliebig zu improvisieren und zu variieren. So kochte sie nicht nur Gerichte aus ihrer Heimat zur Begeisterung der zahlreichen Missionare, die in unserem Heim ein- und ausgingen, sondern auch Gerichte aus Deutschland und anderen Ländern oder erfand einfach neue. Das alles tat sie mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Ich denke mir manchmal, sie hätte auf jedem dieser Gebiete weltweite Anerkennung finden können, wenn sie den hierfür notwendigen Aufwand getrieben hätte und alle ihre sonstigen Ziele diesem einen Ziel untergeordnet hätte. Es stellt sich vielleicht die Frage, warum sie es nicht getan hat. Doch darauf möchte ich später noch eingehen.
In Deutschland hatte sich Teresa, nachdem sie die ersten Anlaufschwierigkeiten überwunden hatte, ein sehr gutes Deutsch mit einer erstaunlich akzentfreien Aussprache angeeignet. Auch das rollende „R“, das man im Kunstgesang ja so dringend benötigt, bereitete ihr keine Probleme. Sie verriet mir einmal, dass sie, um das „R“ rollen zu können, sehr, sehr lange habe üben müssen. Aber wenn sie üben und lernen konnte, war sie in ihrem Element.
In München hatte Teresa schon einmal sehr erfolgreich als begleitende Dolmetscherin für Siemens gearbeitet. In dieser Funktion betreute sie chinesische Delegationen, begleitete sie zu Führungen und in Restaurants und kümmerte sich um sie. Sie entwickelte oft eine tiefe Zuneigung zu den Bezugspersonen, mit denen sie zu tun hatte. So war es damals noch üblich, dass in den Restaurants fleißig geraucht wurde. Da die meisten Chinesen starke Raucher sind, fanden die offiziellen Bankette oftmals in einer rauchvernebelten Atmosphäre statt. Teresa ertrug es tapfer, wies aber ihren damaligen Chef, der Kettenraucher war, immer wieder liebevoll darauf hin, dass es seiner Gesundheit nicht gut täte, wenn er weiterhin so viel rauchen würde.
Sie berichtete mir später einmal, dass sie ihn ein paar Jahre später auf der Straße wieder getroffen habe. Offenbar hatte er Kehlkopfkrebs bekommen und große Teile seines Kopfes waren von der Krankheit und Operationen so entstellt, dass sie ihren ehemaligen Chef kaum wiedererkannte. Sie unterhielten sich kurz auf der Straße, und er bedauerte es, damals nicht auf Teresa gehört zu haben. Nicht lange danach musste sie die Nachricht von seinem Tod verkraften und weinte bitterlich um ihn, denn sie hatte ihn von Herzen gern.
Teresa war eine geborene Lehrerin, und sie konnte sehr gut mit Kindern umgehen. Das lag vielleicht daran, dass sie sich ein im besten Sinne kindliches und sonniges Gemüt bewahrt hatte. Sie war in der Lage, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen, lachte viel und gern und gelegentlich kam es vor, dass sie sich mit ihrem Namen am Telefon meldete und die Stimme am anderen Ende der Leitung nach dem Papa verlangte. Damit zog ich sie manchmal auf.
Es war ein Glücksfall für sie, dass sie eines Tages das Angebot bekam, in einer privaten Musikschule in Aichach zu unterrichten, denn sie hatte ja keine formelle Ausbildung, sondern all ihre Kenntnisse im Privatunterricht erworben. Eine russische Freundin hörte als Klavierlehrerin bei der Schule auf, und sie bat Teresa, an ihrer Stelle weiterzumachen. Sie stellte sich also bei der Musikschule vor und bekam den Job als Klavier- und Gesanglehrerin.
Ich habe oft mitbekommen, wie sehr Teresa auf ihre Schüler eingegangen ist. Sie hat Unmengen von Noten- und sonstigem Material eingekauft, um den Unterricht interessant zu gestalten und hatte die Gabe, sich auf jeden ihrer Schüler einzustellen. Teresa war immer der Meinung, dass gute Musik eine wunde Seele heilen kann und pflanzte ihren Schülern ihre aufrichtige und tiefempfundene Liebe zur Musik ins Herz und ging in dieser Tätigkeit vollkommen auf.
Eine Anekdote aus jüngerer Zeit mag das belegen. Als Teresa am 2. Januar das Aufnahmegespräch in der Krebsklinik mit dem leitenden Arzt führte, meinte dieser, sie müsse zur Therapie mindestens fünf Wochen, wahrscheinlich sogar noch länger, bleiben. Teresa entgegnete, das sei auf keinen Fall möglich. Nach spätestens zwei Wochen müsse sie wieder zurück und ihre Schüler weiter unterrichten. Sie habe ohnehin schon eine Woche überzogen und Schwierigkeiten, die ausgefallenen Unterrichtsstunden nachzuholen. Außerdem könne sie ihren Chef nicht enttäuschen. Der Oberarzt machte ein sehr erstauntes Gesicht, als er das hörte, und als Teresa nach zwei Wochen klar war, dass sie weiterhin in der Klinik bleiben musste, war sie tieftraurig und zögerte lange damit, ihren Chef anzurufen und ihm zu sagen, dass sie so lange ausfallen würde.
Nun folgt ein sehr inniges Lied, das Teresa 2005 bei einem Konzert im kleinen goldenen Saal in Augsburg gesungen hat und in dem ihre Sehnsucht nach schlichter Schönheit besonders gut zum Ausdruck kommt.
Hier geht’s zu den MP3-Aufzeichnungen der Trauerfeier mit dem Lied Amarilli mia bella.