Der Schriftsteller Matthias Claudius schreibt in seinem Gedicht Abendlied:
„Siehst du den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön! So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“
Einige von uns mögen Teresa Gebauer nur kennengelernt haben, wie sie als Solistin oder als Chorsängerin auf der Bühne stand und mit ihrer Sopranstimme die Zuhörer begeisterte – mit einem Abendkleid angetan. Und wenn Sie sie vielleicht vierzehn Tage später im Gemeindehaus getroffen hätten – mit Jeans, Pullover, Staubsauger und Putzeimer –, hätten Sie sie vielleicht gar nicht wiedererkannt. Das war auch eine andere Hälfte dieses Mondes, den wir vielleicht nicht gesehen haben.
Teresa Gebauer Wang war eine tiefgläubige Mormonin, und sie sah den Zweck ihres Lebens nicht darin, mit ihren musikalischen Talenten zu kokettieren, sondern sie sah den Lebensinhalt darin, für andere da zu sein, anderen zu dienen, auch – natürlich – mit ihren musikalischen Talenten, aber eben auch dienen in Form von etwas in die Hand nehmen und auch weniger wertgeschätzte Arbeiten und Aufgaben zu erfüllen. Sie war sich dessen bewusst, dass dieses Leben die Zeit ist, wo wir uns vorbereiten, dermaleinst unserem Schöpfer wieder zu begegnen. Darüber hinaus war sie in unserer Gemeinde auch als Lehrerin berufen, als Lehrerin für Kinder einer bestimmten Altersstufe – so ungefähr fünf- oder sechsjährige Kinder sind das gewesen, die sie sehr liebevoll jeden Sonntag in Evangeliumsgrundsätzen unterrichtete. Und sie hatte nicht nur die Kinder in ihr Herz geschlossen, sondern auch die Kinder hatten sie lieb und sind am vergangenen Sonntag, als sie erfuhren, dass ihre geliebte Teresa nicht mehr da ist, in Tränen ausgebrochen. Und einer ihrer Schüler, der sechsjährige Jannis, hat ihr ein Bild gemalt zum Abschied, ein Bild von diesem heutigen Tag, von der anschließenden Beerdigung, die stattfinden wird, und er hat erklärt, was er dargestellt hat: Es ist die Teresa bei der Beerdigung mit einer weinenden Sonne und weinenden Menschen, die Teresa zu Grabe tragen. Teresa aber lacht, weil sie Jesus sieht! Sie sieht ihn. Der wunderbare evangelische Theologe Dietrich Bonhöfer schreibt in seinem Gedicht Von guten Mächten unter anderem:
„Von guten Mächten wunderbar geboren, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns, am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Diese Gewissheit hat ihr Leben bestimmt: dass sie eingehüllt ist in die Liebe eines liebenden Vaters im Himmel und seines Sohnes Jesus Christus.
Und diese Liebe hat sie nach außen getragen. Sie hat mit Menschen über ihren Glauben gesprochen und hat Menschen in ihren Bann ziehen können – durch ihren Glauben. So war sie auch hier in unserer Gemeinde an bestimmten Tagen da, um Besucher unserer genealogischen Bibliothek in das Haus zu lassen und ihnen, wenn es notwendig war, die nötige Hilfe bei ihren Ahnenforschungen zu geben. Und eines dieser Ehepaare hat mir gestern ein Beileids-E-Mail geschrieben. Und ich darf kurz ein paar Zeilen aus diesem E-Mail zitieren. Sie schreiben:
„Wir haben Frau Gebauer Wang im Rahmen der Genealogie kennengelernt und schätzen gelernt. Ihre freundliche Art, die wundervollen Gespräche und Plaudereien und ihre Hilfsbereitschaft werden wir sehr vermissen. Wir sind sehr dankbar, dass wir sie kennenlernen durften.“
Sie ist jetzt in eine andere Daseinssphäre hinübergegangen, wo sie von guten Mächten wunderbar geborgen ist und darauf wartet, dermaleinst mit ihrem Mann Wolfgang wieder für immer zusammen zu sein. Dieser wunderbare Glaube dieses sechsjährigen Jannis, der das Bild gemalt hat, ist uns ein Beispiel und Muster. Kinder sind etwas Großartiges. Ihre einfache Art zu glauben und nicht alles zu hinterfragen und für alles eine Antwort wissen zu wollen, sondern einfach nur etwas annehmen zu können, um zu wissen dass es so ist, sollte uns ein Beispiel sein. Jesus Christus hat einmal ein Kind in die Mitte einer Menschenmenge gestellt und hat gesagt:
„Wenn ihr nicht … [so rein und gläubig] wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matthäus 18:3.)
Teresa hatte diesen im positiven Sinne kindlichen Glauben. Und in ihren schweren Wochen der Krankheit hat sie nie das Vertrauen in die Liebe Gottes verloren. Und heute nun verabschieden wir uns von ihr, aber auch wissend, dass für uns einmal diese Stunde kommen wird. Und dann hoffe ich, dass wir sagen können, wir haben uns bemüht, ein gutes Leben zu leben, wir haben unseren Nächsten geliebt. Und wie wir wissen, stehen wir nur im Dienste unseres Gottes, wenn wir im Dienste unserer Mitmenschen stehen. Im Namen Jesu Christi. Amen.